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Generalunternehmer Werbetechnik

Situationsanalyse mit einer These über die mögliche Entwicklung eines ganzen ­Berufsstandes.

Simon WidmerWenn die maschinelle Fremdproduktion über ausländische Internetanbieter stetig mehr und mehr Basic-Produkte aus dem klassischen Werbetechnik-Portfolio abdeckt, bleiben dem heimischen Qualitätswerbetechniker nur noch wenige Optionen übrig: Spezialisierung, digitale Aufrüstung oder die Flucht in die Rundumdienstleistung bieten sich an.

Des Übels Ursprung

Die Digitalisierung und die Internationalisierung gehen Hand in Hand – auch in unserer Branche. Was noch vor wenigen Jahren nur der gelernte Spezialist gestalten, drucken und montieren konnte, kann heute mit einfach zu erlernenden Computerprogrammen privat oder durch eine gewillte Bürokraft vorbereitet werden und über einen Onlinedienstleister – oftmals nicht mal mehr unbedingt aus der Schweiz – für einen Bruchteil der einst üblichen Preise gekauft werden. Einzig die Montage muss selbst bewerkstelligt oder einem ortsansässigen Fachhandwerker übergeben werden.

Lieferung und Qualität entsprechen den Wünschen. Auch haben die besagten Onlinedienstleister in Sachen Beratung viel Boden gut gemacht. Sie bieten neben schweizerdeutschen Hotlines auch Chatprogramme auf ihren Websites an, die zu jeder Unzeit Rede und Antwort zu fachlichen Themen anbieten.

Kurz – es ist einfach geworden, gewisse Standarddienstleistungen aus dem Bereich Werbetechnik über günstige Wege im Internet produzieren zu lassen. Dies plagt den heimischen Werbetechniker, da er vor allem einfache Aufträge wie den Blachen-, den Schilder- oder den Plakatdruck, einfache Signaletikteile, Leuchtkästen und Aufkleber, die man bislang en masse abwickeln konnte, zunehmend an diese Grossdienstleister verliert. Diese verfügen dann auch über eine ent­sprechende «Kriegskasse» für Onlinemarketing und Messeauftritte.

Als «Flucht nach vorne» bieten sich folgende Möglichkeiten an:

Spezialisierung

Aus dem theoretischen Marketing wissen wir: Wenn man keine Marktführerschaft erreichen kann, muss man eine Innovationsführerschaft anstreben. Oder eben etwas vereinfacht: Wenn man es nicht über die Masse machen kann, dann über den Mehrpreis, der für eine Spezialität bezahlt wird.

Eine mögliche Strategie, um die «Online-Billiganbieter» zu umgehen, wäre, sich in einem Bereich der Werbetechnik zu spezialisieren, der so kompliziert und individuell ist, dass diese Produkte und Dienstleistungen unmöglich online abgewickelt werden können. Oder aber man fokussiert sich auf einen Spezialfall einer spezifischen Klientel und lässt sich partnerschaftlich fix in deren Produktionsprozess einbinden. Im Einzelfall mag dies sicher gelingen, ob es eine massentaugliche Strategie sein kann, ist zu bezweifeln.

  • Vorteil: Wenig, dafür regelmässige Kundschaft.
  • Nachteil: Klumpenrisiko beim Wegfall eines solchen Partners. Auch dürfte für die Akquise solcher Partnerschaften einige Zeit und Networking aufzuwenden sein.

Digitale Aufrüstung

Eine weitere mögliche Vorgehensweise ist, sich den digitalen Gegebenheiten der Konkurrenz anzupassen. Dazu gehört ein moderner Webauftritt mit einer möglichst digitalen Auftragsabwicklung. Gefordert sind automatisierte Fertigungsprozesse, die es zulassen, bestellte Produkte zeitnah auszuliefern. Das heisst im Idealfall, alle Vorteile des «Onliners» mit dem Vertrauen in den lokalen Anbieter zu kombinieren. Damit einhergehend müsste das Portfolio gestrafft werden. Sonderanfertigungen und detailverliebte Projekte hätten in einem solch standardisierten Umfeld keinen Platz mehr. Der ganze Betrieb müsste streng genormt, standardisiert und durchorganisiert werden. Kreativität müsste Massentauglichkeit Platz machen – hier diktiert die Menge den Erfolg.

  • Vorteil: Man könnte sogar neue Geschäftszweige erschliessen – beispielsweise die Give-away-Veredelung oder die Produktion von speziellen Verpackungen
  • Nachteil: Die finanziellen Investitionen sind gross und der Lernaufwand und die Roll-out-Phase kosten ebenfalls Zeit und Geld. Somit ist diese Strategie für ein wirklich kleines KMU kaum realisierbar.

Der Generalunternehmer – «Rundumdienstleistung inklusive»

So bleibt denn nur noch die letzte Strategie, eben jene, die diesem Artikel den Titel gibt: der «Generalunternehmer Werbetechnik». Denn wenn Technologie und Maschinen den Wettbewerb erschweren, dann muss eben Beratung und Dienstleistung das Zünglein an der Waage spielen.

Fast etwas ketzerisch möchte ich fragen: Wie viel Beratung, Bemusterung und Zusatzdienstleistung kann denn ein Onliner überhaupt anbieten? Und weiterführend: Wenn die Rundumdienstleistung von der kreativen Idee, der begleitenden Gestaltung nach Mass, gefolgt von der Massproduktion am Schweizer Standort, die Bewilligungsprojektierung und schliesslich die Montage oder gar – quasi als guter Aftersales Service – die Instandhaltung eines Werbetechnikprojektes aus einer Hand kommen, wer will da noch zum Onliner springen?

Die «Wahrheit» liegt wohl irgendwo zwischen dem Generalisten und dem Onliner. Den Grossen mit aller Konsequenz nachzueifern, dürfte bei den meisten KMU in der Schweiz die Schmerzgrenze für Investitionen bei Weitem übersteigen. Das wird jeder Unternehmer bemerken, der seinen Betrieb im Bereich Produktion auch nur halbwegs dem Output der grossen Onliner anpassen will. Es gilt, die Dienstleistung und die dazu gehörende Beratung wieder als verkaufbares Produkt, ja gar als Verkaufsargument zu etablieren, denn vor lauter Digitalshopping und Onlinebestellung hat der Fokus auf den Preis überhandgenommen. Dabei sollte das Zitat von John Ruskin berücksichtigt werden: «Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte. Und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften. Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist genauso unklug, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Bezahlen Sie dagegen zu wenig, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann.

Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten ... Das funktioniert nicht. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das eingegangene Risiko etwas hinzurechnen. Wenn Sie das aber tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.»

These

Ich möchte hier eine Lanze brechen für all jene Unternehmer, die sich auf die Fahne geschrieben haben, Qualitätsarbeit zu leisten und dafür zu sorgen, dass dies ihren Kunden auch bewusst ist. Ich möchte die Behauptung aufstellen, dass Qualitätsbewusstsein und Qualitätsarbeit dort beginnen, wo man bereit ist, für seinen Kunden die berühmte Extrameile zu gehen – vor und nach dem Geschäftsabschluss saubere Beratung und Betreuung zu leisten und diese auch als gern bezahltes Gut von seinen Kunden verstanden zu wissen. Denn Qualität «verhebet» eben.

Keine Maschine und kein Roboter dieser Welt können die kreative Arbeit erledigen, die ein sauber geführtes Beratungsgespräch, fundiert eingebrachtes Fachwissen und prompt erledigte Arbeit schliesslich zu Boden bringen. Es mag sein, dass künstliche Intelligenz, Chatbots und lernfähige Maschinen irgendwann ansatzweise in der Lage sein werden, den Wunsch und das Machbare im Projekt ihres Kunden zu ergründen, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, welche zu einer fundierten Offerte und zu einem Projekt führen, das mit vollster Zufriedenheit abgeschlossen werden und über Jahre mit guter Nachbetreuung zur gemeinsamen «Kunden-Dienstleister-Partnerschaft» reifen kann. Bis dahin liegt der «heilige Gral der Werbetechnik» im Wissen und in der Kommunikation, die unseren Beruf zu vielem machen, aber nicht zu einem 08/15-Onlineshop, der hundert Mal am Tag unabhängig vom Kunden dasselbe verkauft.

Ich möchte meine These mit der Vermutung schliessen, dass ein offenes Auge (oder zwei) auf die technologischen Entwicklungen – insbesondere im gestalterischen Bereich – sich lohnen dürften. Dass ein Mithalten in diesem Bereich weniger Zeit und finanzielle Ressourcen benötigt als der Aufbau eines komplett digitalen Massenvertriebskanals, liegt meiner Meinung nach auf der Hand. Wenn Sie investieren möchten, investieren Sie in das Wissen Ihres Teams, in moderne Gestaltungsmittel, in Wissen um Trends und Aktualität im Bereich Design, und trauen Sie sich, zu zeigen, dass ein Werbetechniker mehr ist als ein Digitaldrucker. Er ist eben ein «Gestalter Werbetechnik», der eine Idee von Grund auf bis zum fertigen Projekt umsetzen kann. ↑

Simon Widmer ist Inhaber der SIEGEL Reklamen GmbH und engagiert sich im VWP im Ressort Marketing sowie in verschiedenen Kommissionen. Er führt zusammen mit seiner Frau eine Werbeagentur mit eigener Werbetechnikproduktion in Appenzell.

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